Mehr Licht als Schatten im Eiksundtunnel

Von Martin Hejma

Im ersten Punktspiel der 2. Bundesligasaison am 11. Juli 2021 kommen die 1. Tennisherren in Berlin beim LTTC „Rot-Weiß“ nicht über ein 2:7 hinaus. Die kämpferischen Qualitäten der gesamten Mannschafft, die „Wassermelonen-Stimmung“ im Team und die Fähigkeit von George von Massow im entscheidenden Moment in den tiefsten Tunnel abzutauchen, stimmen dennoch zuversichtlich für den Rest der Saison.

Ein Spielbericht.

„Hier muss man sehr aufpassen. Der von Massow schlägt mit 200 km/h auf!“ Damit ist eigentlich schon alles über die Alsteraner Nr. 3 an diesem Tag gesagt. Wenn sich die einheimischen Fans (!) schon gegenseitig vor den Aufschlägen eines gegnerischen Spielers warnen, kann es für den französischen Gegner von von Massowselbst nicht viel besser aussehen. Und tatsächlich keine zwei Punkte später schlägt von Massow wieder von der Vorteilsseite in Richtung der Zuschauer auf und der Ball fliegt ein weiteres Mal an Romain Jouan vorbei, über die seitliche Ballustrade und Zuschauer springen in Deckung.

Als von Massow mit dem gerade beschriebenen Aufschlag den nächsten Ball auf Clubgeländebesichtigung in Richtung des Steffi-Graf-Stadions und der zwei Rasenplätze der Anlage schickte, waren bereits zwei umkämpfte Sätze gespielt, die aus Sicht von von Massow 6:4 6:7 (4) ausgegangen sind.

Bälle auf Clubgeländebesichtigung

Ab da an ist George von Massow dann in einen Tunnel abgetaucht, aus dem er erst nach seinem Siegpunkt zum 10:5 wieder heraustrat. Ein Tunnel, der so tief war wie der Eiksundtunnel in Norwegen. Von Massows Blick strotzte vor Selbstbewusstsein. Als Zuschauer spürte man förmlich wie fokussiert der in Bad Honnef geboerene 198 Meter-Hüne in den Championstiebreak ging, wie sehr er bei sich war. Nach dem Match sagt von Massow selbst: „Ich habe am Ende nicht mehr viel um mich herum mitbekommen“. So stand seinem dominanten Spielstil, seinen Assen und damit auch seinem Sieg im Championstiebreak nichts mehr im Wege – auch wenn sich der bereits erwähnte, sein Umfeld warnende Fan der Berliner beim Stand von 7:2 noch wunderte: „Spielen die diesen langen Tiebreak?“ Ja, tun sie. An diesem Spieltag insgesamt gleich drei mal in den Einzeln und fünf (!) mal insgesamt.

Vor Marvin Möllers Aufschlag warnten die Berliner Zuschauer sich nicht, dafür aber raunten sie regelmäßig ob der Djokovic-ähnlichen Beinarbeit der Hamburger Nr. 1. Bei Möller sieht man eine Agilität wie man sie bei Alster im Übrigen nur einmal im Jahr beim Turnier am Rothenbaum zu sehen bekommt. Wer eine Gratis-Theorie-Stunde in Sachen Beinarbeit nehmen möchte, sei die Top-Begegnung im nächsten Heimspiel mit Marvin Möller empfohlen.

Djokovic-ähnliche Beinarbeit

Diese überragende Defensiv-Qualitäten gepaart mit einer beeindruckenden Konstanz führten Möller zu einem überzeugenden ersten Satz den er mit 6:2 gewann. Später im zweiten Satz konnte Möller aber nicht zum Sieg ausservieren und verlor den anschließenden Tiebreak klar.

Es folgte auch hier ein Championstiebreak in dem Marvin Möller die Kräfte noch bis zu einem 7:1 trugen, danach aber nicht mehr weiter. In diesem Fall wäre ein kürzerer Tiebreak für Alster günstiger gewesen. Denn in einem fortan dramatischen Championstiebreak zeigte der Argentinier Augustin Velotti Steherqualitäten und konnte den entscheidenden „langen Tiebreak“ noch komplett zu einem 10:7 zu seinen Gunsten drehen.

Wenn man weiß, dass Marvin Möller noch am Vortag das Halbfinale des Challenger-Turniers in Braunschweig bestritten hat und er schon Ende des ersten Satzes gegen Unwohlsein und Schwindel zu kämpfen hatte wird diese Wende erklärbar. Sie hat weniger etwas mit der fehlenden Fähigkeit sich wie von Massow in einen mentalen Tunnel zu begeben zu tun, sondern ist viel mehr Ausdruck davon, dass man als Top-Spieler für das eigene Team bis an die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit geht – und ganz am Ende auch darüber hinaus.

Mit diesem dramatischen Ende des Top-Matsches konnte Berlin auf 5:1 nach den Einzeln stellen und damit den Ausgang der Partie zu Gunsten der Gastgeber besiegeln. Es lohnt sich dennoch ein kurzer Blick auf die übrigen Einzel, die aus Alsteraner Sicht zwar allesamt verloren gingen, aber auch gezeigt haben, dass Trainer Tobias Hinzmann auch in diesem Jahr ein Team coached das unbedingt will und das auch auf dem Platz zeigt.

Fünfmal „langer Tiebreak“

Allen voran gilt das an diesem Tag für Leo von Hindte, die Nr. 2 von Alster, der fulminant in seine Partie gestartet ist. Mit herausragendem klug und planvoll vorgestellten Tennis, konnte er 6:4 in Führung gehen.

Sein Gegner, der 33 Jahre alte Jürgen Zopp, der schon die 71 der Weltrangliste war und über eine Millionen Euro Preisgeld in seiner Karriere eingefahren hat, hatte aber eine Antwort parat und konnte nach einem frühen Break die Oberhand gewinnen. Mit 1,91 Metern Körperlänge und entsprechenden Hebeln, nicht nur aber auch beim Aufschlag, ausgestattet, sicherte er sich den zweiten Satz zu null.

Zwei Asse zu wenig

Ein weiteres Mal ging es also in den entscheidenden Championstiebreak, in dem sich von Hindte von sich selbst im Nachgang der Partie noch „zwei Aufschläge mehr wie George“ wünschte, „dann gewinn ich das Ding.“ So aber musste er sich am Ende doch dem Esten geschlagen geben und es war der Este der zwei Asse servierte (5:10).

Die Partien an den Positionen 4, 5 und 6 endeten nicht im Championstiebreak. Demian Raab, Julian Reister und Flemming Peters verloren jeweils in zwei Sätzen. Demian Raab sah sich dabei gegen den zurzeit stark aufspielenden deutschen Spieler Timo Stodder einem letztlich an diesem Tag zu starken Gegner gegenüber.

Auch Julian Reister kam an Position 5 nicht an sein immenses Potential heran, wie er es sich auch selbst gewünscht hätte. Sein Gegner, Robert Strombach, lettischer Davis Cup Spieler, hat es gleichzeitig auf der anderen Seite auch sehr gut gemacht und konnte sein Spiel aufziehen. Einmal im Rollen ist der Lette schwer zu stoppen gewesen. Julian Reister ist dennoch am Ende des zweiten Satzes (4:6) weiter besser in die Partie gekommen, was ein vielversprechendes Zeichen für die weiteren Partien sein dürfte. Das gilt auch für Raab dem mit weiterer Matchpraxis und seiner Liga-Erfahrung noch viel zuzutrauen ist.

Schließlich konnte auch Flemming Peters an Position 6 nicht über ein 2:6 3:6 hinauskommen. Er hatte auch seine Chancen, unterlag am Ende aber klar, nachdem er in beiden Sätzen gegen Nino Ehrenschneider nicht gut gestartet ist.

Mit Blick nach vorne auf die anstehenden Partien, zeigen die Ergebnisse und vor allem die Auftritte, dass das ausschließlich mit norddeutschen Spielern zusammengestellte Team von Alster sich vor niemandem verstecken brauch. Wie die insgesamt 5 Matchtiebreaks zeigen, war das Ergebnis keineswegs so klar wie sich das 2:7 vielleicht liest.

Vollgas in den Doppeln

Beweis hierfür sind letztlich auch die Doppel, die Alster trotz feststehender Niederlage mit vollster Überzeugung und Willen anging.

Geradezu exemplarisch für diese Überzeugung der ganzen Mannschaft war der Auftritt von Thomas Charlos im zweiten Doppel. Der Alsteraner war in den Einzeln nicht zum Einsatz gekommen und dennoch schon dort wichtiger Teil der Mannschaft. Zunächst ist er vor und am Spieltag ein unverzichtbar Teil der gemeinsamen Trainingsgruppe, sorgt immer für gute Stimmung, wenn er das Team, wie in Berlin passiert, spontan mit drei Wassermelonen versorgt und ist als Coach nicht wegzudenken – in den Einzeln war er im Marathon-Einsatz bei gleich drei Partien auf der Bank.

Nicht nur der Lukas Podolski

Aber doch ist Charlos eben nicht „nur“ der gut gelaunte Lukas Podolsky des Teams. In seinem Doppel mit Leonard von Hindte zeigte er all seine Qualitäten und untermauerte seinen Anspruch bei künftigen Spielen auch im Einzel anzutreten. Am Ende reichte es für die beiden allerdings gegen die starken Berliner Jouan/Stodder denkbar knapp nicht. Nach Matchball bei eigenem Aufschlag zählte der Stuhlschiedsrichter letztlich „11:9 Berlin“ – wieder im Championstiebreak.

Während von Massow/Reister im Spitzendoppel 2:6 6:7 verloren, beendeten Raab/Flemming den Spieltag zumindest versöhnlich: Nach hartem Kampf holten die beiden den zweiten Punkt für Alster und bewiesen, dass nicht nur von Massow an diesem Tag Championstiebreaks gewinnen kann (10:3). Das sollte ein Ansporn sein, auf den man aufbauen kann, wenn es nächsten Freitag gleich wieder nach Berlin geht – dann zu Blau Weiß.

Vielleicht hat sich bis dahin trotz der Niederlage rumgesprochen, dass man gegen Alster bei Weitem nicht nur bei den Aufschlägen von von Massow „sehr aufpassen“ muss. Und ja, der Eiksundtunnel ist der tiefste Tunnel der Welt.

Ergebnisse